Das liebenswerte, allmorgendliche oder -abendliche Ritual sollte auch im Quarz-Zeitalter noch nicht ganz in Vergessenheit geraten sein. Im Handumdrehen erhielt der persönliche Zeitmesser die nötige Energie für den nächsten Tag. In aller Regel reichte die Kraft der Zugfeder sogar noch etwas länger als 24 Stunden. Der energetische Überschuß war eine gangstabilisierende Reserve, weil die Zugfeder während der ihr zugedachten Betriebszeit ein relativ gleichförmiges Drehmoment lieferte. Nach 35 bis 40 Stunden war ihre Kraft im allgemeinen restlos erschöpft, blieb die Uhr ohne erneutes manuelles Eingreifen unbarmherzig stehen.

Die Gründe, warum sich Armbanduhren im 20. Jahrhundert zu unverzichtbaren Begleiterinnen entwickelten, reichen z.T. weit in die Geschichte der Zeitmessung zurück. Elementare Faktoren sind natürlich die allgemeinen Fortschritte der Uhrmacherkunst. Technische Entwicklungen, darunter die so wichtige Erfindung der Zugfeder im späten 15. Jahrhundert, führten zur tragbaren Uhr.

Die Vervollkommnung handwerklicher Fertigkeiten brachte u.a. eine zunehmende Miniaturisierung mit sich. Ohne die Taschenuhr wäre die Armbanduhr vermutlich niemals Realität geworden. Über ihren Vater schreibt ein gewisser Johannes Cocleusim im Jahre 1511: "Täglich erfinden sie feinere Dinge. So bringt Peter Henlein, ein noch junger Mann, Werke hervor, die selbst die gelehrtesten Mathematiker bewundern, denn aus ein wenig Eisen fertigt er mit vielen Rädern ausgestattete Uhren, die, wie man sie auch wenden mag, ohne irgendein Gewicht 40 Stunden zeigen und schlagen, selbst wenn sie im Busen oder Geldbeutel stecken."

Eine andere uhrmacherische Kreation darf in diesem Zusammenhang gleichfalls nicht vergessen werden. Ohne sie hätte sich die mechanische Uhr wohl niemals auf breiter Front durchsetzen können. Gemeint ist der moderne Kronenaufzug.

Bevor er Einzug hielt, erfolgten Aufzug und Zeigerstellung mittels kleiner Schlüssel, die gerne verloren gingen. Deshalb erschienen im späten 18. Jahrhundert kuriose, aber wenig erfolgreiche Taschenuhren auf der Bildfläche, bei denen sich die Zugfeder über Drehlünetten oder bewegliche Bügelknöpfe spannen ließ. 1838 präsentierte das Haus Louis Audemars seine erste Taschenuhr mit Kronenaufzug. Die anerkannt beste Konstruktion und deshalb bis heute verwendete Version des Kronenaufzugs stammt indessen von Jean Adrien Philippe, kreativer Partner Norbert Antoine de Pateks.

Der erste Kronenaufzug von Jean Adrien Philippe

Der erste Kronenaufzug
von Jean Adrien Philippe, 1845

Nach rund zwanzigjähriger Entwicklungsarbeit bekam er 1861 ein Patent auf seinen Kronenaufzug, der die Fertigung besonders flacher Werke gestattete. Das komfortable "leere" Rückwärtsdrehen der Krone beim Aufziehen war damit allerdings noch nicht möglich. Erst die Addition einer Ratsche ebenfalls durch Jean Adrien Philippe brachte den gewünschten Komfort und eine zukunftsweisende Perfektion.

Die Funktion eines Handaufzugswerks ist — mit Verlaub gesagt — erstaunlich simpel. Uhrmacher fügen es aus etwa 80 Teilen zusammen. Über die Krone, die Aufzugswelle sowie die Räder und Triebe des Aufzugssystems erhält die im Federhaus aufgewundene Zugfeder ihre Energie. Ein kleines Gesperr sorgt dafür, daß sich die Zugfeder nicht mehr über das Aufzugssystem entspannen kann. Aufgabe des Räderwerks ist es, die vergleichsweise hohe Kraft der Zugfeder durch mehrfache Untersetzung zu mindern.

Seine Übersetzung ist so berechnet, daß sich das Sekundenrad einmal pro Minute um seine Achse dreht. Bei Uhren mit kleiner Sekunde trägt das vordere Ende der Sekundenradwelle den Sekundenzeiger. Am Ende der Räder-Trieb Kette steht die Hemmung. Sie verhindert, wie ihr Name bereits andeutet, das ungebremste Ablaufen des Räderwerks innerhalb weniger Sekunden. Durch winzìge Kraftimpulse sorgt sie aber auch dafür, daß die Uhr nicht stehen bleibt. Ohne kontinuierlichen Energienachschub würden Unruh und Unruhspirale, das gangregelnde Organ, infolge der unvermeidlichen Reibungsverfuste ihre Schwingungen nämlich rasch wieder einstellen.

Die Hemmung besteht aus dem Ankerrad, dem Anker mit zwei Paletten, der Ankerstange mit Gabel sowie den Rollen mit der Ellipse. Das zeitbewahrende Schwing- oder Reguliersystem setzt sich aus Unruh und zugehöriger Spiralfeder zusammen. Letztere war, ist und bleibt die "Seele" der mechanischen Uhr. Dieser vielleicht etwas provokativ wirkende Vergleich ist beileibe nicht an den Haaren herbeigezogen. Das winzige, eher unscheinbare Teil erfüllt die Uhr mit Leben. Ohne die kleine Spirale würde jede Uhr bereits nach kürzester Zeit stehen bleiben. Zum Beweis muß man sie nur einmal entfernen. Danach bewegt sich der Unruhreif noch bis zu einem Anschlag, wo er regungslos verharrt.

Das harmonische Zusammenspiel von Schwing- und Hemmungssystem bildet die Grundlage aller mechanischen Zeitmessung. Es unterteilt die flüchtige Zeit in möglichst gleiche, exakt festgelegte Abschnitte. Die Dauer einer Sekunde hat dabei dem 86.400sten Teil eines mittleren Sonnentages oder, nach neuester Definition, 9.192.631.770 Schwingungen in der Hülle des Cäsium-133-Atoms zu entsprechen. Nach jeweils 3.600 Sekunden ist bekanntlich eine Stunde verstrichen. Die langsame Rotation des hierfür zuständigen Zeigers bewirkt das unter dem Zifferblatt angeordnete Zeigerwerk. Es reduziert die Umdrehungszahl des Minutenrads (1/h) i.d.R. auf 1/12. Der auf dem sog. Viertelrohr sitzende Stundenzeiger dreht sich also in zwölf Stunden einmal um seine Achse. Schließlich ermöglicht das ebenfalls unter dem Zifferblatt verborgene Zeigerstellsystem, daß man die exakte Zeit über die gezogene Krone einstellen kann.

Explosionszeichnung des Handaufzugs-Kal. 48 von Minerva

Explosionszeichnung
des Handaufzugs-Kal. 48 von Minerva


Trotz Quarz-Revolution und Automatik-Konkurrenz besitzt die Handaufzugs-Armbanduhr weiterhin ihre Liebhaberinnen und Liebhaber. Sie wollen auf die tägliche Kontaktnahme beim Spannen der Zugfeder nicht verzichten. Das wunderbare Gefühl beim Hin- und Herdrehen der Krone möchten sie einfach nicht missen. Und das ist eine durchaus verständliche Haltung.